…Vater sein dagegen sehr

Erfahrungen mit dem neuen Stärke-Kurs am Therapiezentrum Münzesheim, der sich speziell an suchtkranke Väter richtet

„Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr“ – so pointiert formulierte Wilhelm Busch die Diskrepanz zwischen der lustvollen Zeugung ohne zeitlich bedeutsamen Einsatz und dem langjährigen und oft auch mühevollen Weg der  Elternschaft.  Gelebte Elternschaft ist immer eine Herausforderung.  Neben der Freude an und mit dem Kind bedeutet sie gleichzeitig auch Verzicht und die Zurückstellung eigener Bedürfnisse. 

Im Bereich von Abhängigkeitserkrankungen (stofflicher und nichtstofflicher Art) fällt  genau dieser  Aspekt besonders schwer. Der Wunsch nach unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung  durch Suchtmittel auf der einen Seite und die Notwendigkeit zu Bedürfnisaufschub und langfristiger Planung im Bereich der Kindesversorgung andererseits prallen dabei brutal aufeinander und werden in der aktiven Suchtphase häufig zu Ungunsten des Kindes entschieden. Die in der Folge teilweise unzureichende Versorgung, insbesondere bei alleinerziehenden suchtkranken Eltern, führt nicht selten auch zu einer Fremdunterbringung von Kindern. In Familien mit nur einem suchtkranken Elternteil übernimmt der andere Teil vorrangig die Versorgung des Kindes. Dies führt jedoch nicht selten zu Spannungen zwischen beiden Elternteilen, wobei der suchtkranke Elternteil gelegentlich als „weiteres Kind“ erlebt wird und dementsprechend eher als Belastung statt Entlastung.

Jenseits dieser allgemeinen Überlegungen: Wie gestalten suchtkranke Väter konkret Ihre Beziehung zu Ihrem Kind/Kindern? Und welche Chance liegt dabei auch in der Entwöhnungsbehandlung im Sinne einer Wiederaufnahme der aktiven Vaterschaft? Im Rahmen der Entwöhnungsbehandlung  steht zunächst der Suchtkranke selbst im Vordergrund. Wenn möglich wird dabei noch die Partnerin/Ehefrau mit einbezogen oder die  Eltern,  die nach einer Trennung häufig der letzte Rückhalt sind. Nimmt man aber die „Familienkrankheit Sucht“ ernst,  gehören auch die Kinder und ihr Erleben (der Sucht) dazu. 

In einem neuen Projekt in Zusammenarbeit mit dem Landratsamt Kreis Karlsruhe entstand dabei  die Idee, die Verbindung von Vaterschaft und Sucht vertieft zu betrachten.  Da die klinikinternen Ressourcen begrenzt sind und primär auf den Suchtkranken und seine Genesung ausgerichtet sind, bot es sich an, ein eigenes Konzept zu entwickeln, das einerseits unabhängig von den Klinikstrukturen existiert,  gleichzeitig aber auch deren Ressourcen nutzt. Dank der Kooperation mit  Frau Wittemann vom Landratsamt Kreis Karlsruhe entstand  dabei die Idee, das bestehende Landesprojekt „Stärke“  zu nutzen und thematisch auf Väter mit Suchterkrankungen anzupassen.  Nach  der Bewilligung des Kurskonzeptes konnte im Oktober 2018 der erste Kurs „Zurück ins (Familien-)leben – Unterstützung von Vätern mit Suchterkrankungen und deren Familien“  mit 6 Teilnehmern starten.

Die Klinikstruktur bietet dabei einen entscheidenden Vorteil: zwar steht der Kurs generell Vätern mit Suchterkrankungen  offen, aber diese zu erreichen und verbindlich zu motivieren, am Kurs teilzunehmen stellt bereits eine der größten Herausforderungen dar.  Erschwerend kommt hinzu, dass die Väter sich bereits zu ihrer Abhängigkeitserkrankungen bekennen müssen, was für viele ein jahrelanger Prozess ist.  Deshalb entstand die Idee, den Kurs direkt im Therapiezentrum Münzesheim, einer Fachklinik für suchtkranke Männer, zu verorten. Sich diesem sensiblen und  häufig von Schuldgefühlen begleiteten Thema  zu stellen, benötigt zudem ein großes Vertrauen in die Kursleiter*innen.  Bei diesem Kurs sind alle drei Kursleiter*innen (Hr. Nakhla, Frau Ziegler und Frau Weih) den Patienten aus der direkten therapeutischen Arbeit oder dem indirekten klinischen Alltag bekannt.  Dies ermöglicht einen vertrauensvollen Einstieg ins Thema und auch die Möglichkeit der Nachbearbeitung persönlich aufwühlender Themen.

Ziel des Kurses ist es, mit maximal 10 Teilnehmern eigene biographische Erfahrungen mit ihren Vätern zu reflektieren, ihre individuelle Ausgestaltung der Vaterschaft zu erfragen und zu würdigen und für die Folgen der Sucht auf die Kinder zu sensibilisieren.  Dabei geht es auch um die kindgerechte Vermittlung der Suchterkrankung und den Umgang mit häufig massiven Schuldgefühlen.  Zuletzt geht es noch um die Vermittlung von Erziehungskompetenzen speziell im Bereich der Grenzsetzung und dem Aufbau sicherheitsschaffender Rituale. 

Was sind die Erfahrungen mit den mittlerweile zwei durchgeführten Kursen?

Es empfiehlt sich ein Vortreffen, bei dem die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Kursteilnehmer erfragt werden.  Dabei spielt eine Rolle, wie alt die jeweiligen Kinder sind und in welchen Familienkonstellationen die Elternschaft aktuell gelebt wird.  In beiden Bereichen gibt es eine große Spannweite: von werdenden Vätern bis hin zu Vätern von teilweise erwachsenen Kindern.  Auch die Familienkonstellationen sind sehr vielfältig: teilweise noch im klassischen Familienverbund mit Partnerin, häufiger jedoch getrennt lebend vom Kind, bzw. auch in sehr komplexen Patchwork-Familienkonstellationen mit Kindern von mehreren Partnerinnen zu denen teilweise Kontakt besteht, teilweise aber auch nicht. Hinzu kommen oft auch Kinder der aktuellen Partnerin aus früheren Beziehungen.  Aufgrund dieser Komplexität und der großen geographischen Streuung der Teilnehmer haben wir die anfängliche Idee verworfen, die Kinder real ins Kursgeschehen mit einzubeziehen.

Die Zeitstruktur, den Kurs auf zwei Termine zu verdichten hat sich bewährt. Sich über mehrere Stunden hintereinander mit dem Thema auseinanderzusetzen führt zu einer intensiven emotionalen Auseinandersetzung und einem starken Gruppenzusammenhalt.

Die Reflektion des eigenen Vaters mit positiven wie negativen Anteilen ist bereits ein hochemotionaler Aspekt. Enttäuschungen am eigenen Vater führen dabei nicht selten zu unrealistischen Erwartungen an die eigene Elternschaft und Beschämung, wenn realisiert wird, dass auch den eigenen Kindern im Rahmen der Sucht viel zugemutet wurde. Nicht wenig e Teilnehmer haben auch selbst einen suchtkranken Elternteil erlebt (meist den Vater) und realisieren, dass das, was sie jahrelang für „normal“ hielten, eine massive Belastung und häufig auch Überforderung für sie als Kind darstellte.

Spannend ist auch die Gegenüberstellung von Vateridealen und real gelebter Vaterschaft.  Dabei ist es uns wichtig zu vermitteln, dass Kinder keinen „perfekten“ Vater brauchen, sondern zunächst einmal einen verlässlichen und emotional zugewandten.  Bei  getrennt lebenden Vätern ist es zudem wichtig, zu einer realistischen Ausgestaltung der Vaterschaft zu kommen. In manchen Fällen muss der Vater erst langsam und behutsam Kontakt zum Kind aufbauen, insbesondere wenn dies jahrelang vermeintlich vaterlos aufwuchs oder einen anderen Mann als „sozialen Vater“ anerkannt hat.

Über die umfangreichen Folgen der Sucht für die Kinder sind die meisten Väter überrascht. Mittels einer Filmreportage kommen Kinder aus suchtbelasteten Familien zu Wort und geben dabei Zeugnis ab, wie differenziert und sensibel sie die Sucht ihrer Eltern wahrgenommen haben.  Die Vorstellung gerade kleine Kinder hätten „noch nichts von der Sucht mitbekommen“  wird  dadurch in Frage gestellt und diente bislang  auch der Abwehr von Schuldgefühlen.  Interessiert wurden von den Teilnehmern auch unbewusste Bewältigungsmuster der Kinder (Rollen) aufgenommen. So kann sich auch hinter der Fassade des scheinbar unkomplizierten oder sozial kompetenten Kindes viel Leid verbergen.

Sich dabei dem Leiden der Kinder und den eigenen Anteilen daran auszusetzen ist  anstrengend und innerlich belastend. Aufgrund dessen wird auch der Umgang mit Schuldgefühlen thematisiert um z.B. einer unbewussten Entlastung durch Verwöhnen entgegenzuwirken. Aus unserer Sicht kommt in diesem Zusammenhang der Vermittlung der Sucht eine besondere Bedeutung zu. Anderenfalls laufen die Kinder Gefahr, sich selbst die Schuld für das väterliche / elterliche Unglück zu geben.  Hierbei gibt es jedoch nicht den goldenen Weg. Ab wann können Kinder eine Sucht verstehen und müssen sie dies überhaupt? Ist danach der Vater innerlich beschädigt und keine Respektsperson mehr? Derlei Sorgen und Ängste dürfen zur Sprache kommen, Anregungen zur kindgerechten Vermittlung  von Sucht werden gegeben.

Neben reflektorischen Prozessen werden die Väter auch ermutigt, sich konkret in der Erziehung ihrer Kinder zu engagieren. Während sich viele Väter eher in der Rolle des väterlichen Freundes und Spielpartners sehen,  gehört dazu auch der liebevolle, aber bestimmte Umgang mit Grenzen. Das Thema ist auch deshalb spannend, da die Kursteilnehmer im Klinikalltag ebenfalls mit vielen Grenzen und teilweise daraus resultierenden Frustrationen umzugehen haben. Dabei ist die Abstinenz-entscheidung letztlich auch eine Form der inneren Grenzsetzung.  Viele Kinder leiden unter den schwer vorauszusehenden Reaktionen suchtkranker Eltern. Mal sind sie liebevoll zugewandt, dann wieder innerlich abwesend, teilweise streng, dann ist wieder „alles erlaubt“. Auch die Anwesenheit an sich ist häufig nicht berechenbar, wenn der Vater z.B. stundenlang nicht nach Hause kommt und die Mutter mit den Kindern angespannt zu Hause wartet.

Es gehört Mut dazu, sich den Seminarinhalten zu stellen, es fließen auch mal Tränen, aber die Gruppe trägt die Teilnehmer und zu sehen, dass es Anderen in vielen Dingen ähnlich geht, entlastet.

Zugegebenermaßen ist der Aufwand für die Landkreise in finanzieller Sicht, für die Teilnehmer und Kursleiter in zeitlicher und auch in emotionaler Hinsicht nicht gering.  Und natürlich ist dieser Kurs kein Ersatz für möglicherweise längerfristige psychotherapeutische Aufarbeitung kindlicher Mangelerfahrungen. Zudem setzt die intensive Beschäftigung und Umsetzung der Vaterschaft auch die fortgesetzte Abstinenz voraus, die zum Zeitpunkt des Kurses noch im Prozess der Festigung ist.

Dennoch lohnt sich aus meiner Sicht das Engagement, da die Folgen der Sucht für die Betroffenen selbst, wie für die Angehörigen  und Kinder erheblich sind und verstandenes Leid der erste Schritt zur Milderung des Leidens  darstellt.  Gleichzeitig kann die Konfrontation mit kindlichem Leid auch den Willen zur eigenen Abstinenzfähigkeit stärken.

Insofern hoffen wir, den Kurs noch zwei weitere Male in diesem Jahr anbieten zu können, aller formaler Anstrengungen, den die Kooperation mit landesweiten Landrats- und Jugendämtern mit sich bringt,  zum Trotz.

Daniel Nakhla
Therapeutischer Leiter
Therapiezentrum Münzesheim

Titelbild: D. Nakhla